WIE ICH ZUR KONKURSVERWALTERIN WURDE

Als Chefredaktorin von CNN Money Switzerland habe ich einen Konkurs hautnah miterlebt.

Schon mal «Konkurs» gegoogelt? Das ergibt viele Treffer. Da steht alles über Konkursabwicklung in Paragrafen-Sprache. Doch niemand bereitet einem emotional auf einen Konkurs vor.

Natürlich kündigt sich ein Konkurs an. Ich weiss vom ersten Arbeitstag an, dass es bei CNN Money Switzerland finanziell knapp werden kann. Die Medien sind in einer absurden Situation. Die Menschen wollen so viel lesen und schauen wie noch nie, aber die Werbegelder sind in der Corona-Krise eingebrochen. Die Nachfrage ist da, die Finanzierung nicht.

Die Krisensitzungen werden länger

Anfangs schaffe ich es, Freude und Hoffnung zu verbreiten. Ich kann die Menschen mit meiner Energie anstecken, zu Höchstleistungen animieren. 

Doch jeden Tag halten wir längere Krisensitzungen. Manchmal sind da noch die kurzen Lacher. Jemand gräbt schwarzen Humor aus.

Ich versuche, weiterhin die Moral zu stärken, Mut zu machen, auch wenn man selber am liebsten weinen würde. Es fällt mir vielleicht leichter als anderen. Ich bin so aufgewachsen. Mein Vater war Psychologe und Friedensrichter. Ich erinnere mich an eine Kindheit voller aufgebrachter, streitender, weinender oder trauriger Menschen. Scheidung, Jobverlust, und am Ende ging es meistens eben ums fehlende Geld. 

Dem Familienvater geht das Geld aus

Gerade im Konkurs zeigt sich, wie schnell es knapp werden kann, wenn plötzlich mal die Löhne nicht pünktlich bezahlt werden. Ein Familienvater signalisiert, dass er bald in finanziellen Schwierigkeiten geraten werde. Seine Frau hat den Job verloren – sie arbeitete in der Gastronomie.

Jetzt gibt es auch mal Redaktionssitzungen mit Tränen. Niemand wird in den Arm genommen. Es ist Corona-Zeit.

Stolze Mitarbeiter, die ihre Partner nicht anbetteln wollen, schütten mir plötzlich ihr Herz aus. Ihre Konten sind gesperrt. Zu gross ist das Minus.

Jeder hilft jedem

Die Situation spitzt sich für alle zu. Ein anderer Familienvater im Team hat noch 50 Franken auf dem Konto. Er weiss nicht mehr, wie er Frau und Kindern Essen kaufen soll. Mir bleibt die Luft weg. Erst vor ein paar Wochen habe ich in meiner Kolumne aufgezeigt, wie Corona die Schere zwischen Reich und Arm geöffnet hat.

Tägliche Videokonferenzen. Der Stress schwingt nun in fast allen Stimmen mit, manchem versagt sie mitten im Satz. Wir helfen uns auf der Redaktion, so gut es geht, gegenseitig aus. Die, welche Reserven haben, leihen Kollegen Geld, übernehmen ihr Mittagessen, die Tankladung für den Dreh.

Immer noch arbeiten alle – sogar Freelancer. Gewisse mehr als je zuvor. Sie stehen in aller Früh auf. Sie schneiden sonntags. Wir schaffen das. Wir kämpfen. Solange wir senden können, senden wir. Bis hin zum letzten Tag. Bis zum bitteren journalistischen Ende – das dann diese Woche auch kommt.

Der Konkurs ist verkündet. Schlagartig erhalte ich Mitteilungen über alle Kanäle. Es melden sich viele Menschen. Sie berichten auch über ihre schwärzesten Stunden, über Firmenuntergänge. Viele haben Medien-Start-ups sterben sehen, beispielsweise den Jugendsender Joiz. Viele melden sich, die soeben auch ihren Job verloren haben. Auch Menschen aus der Primarschulzeit. Ich erhalte mehr Nachrichten zum Abtritt als zum Antritt. Es ist berührend. Und genau deswegen möchte ich diese Erfahrung hier teilen. Weil so viele im gleichen Boot sitzen. Weil es tröstlich ist, nicht alleine durch diese Zeit zu müssen. Und wenn jemand heldenhafte Filmerinnen, Videoproduzenten, Grafiker und Journalistinnen sucht: Ich kenne die Besten der Welt. Einfach bei mir melden. #aufbruch

 

 

Patrizia Laeri